Nur um’s gleich mal gesagt zu haben: Ja, früher haben wir so ziemlich alles kopiert, was nicht bei drei auf dem Kopierschutz war. Das gehörte damals irgendwie dazu – wie Cola, Joystick und Ladebildschirm. Aber Zeiten ändern sich: Heute kaufe ich meine Programme ganz legal und verzichte komplett auf
Raubkopien. Kein Schulhof, kein Diskettentausch, kein nervöses Rattern aus der Ecke.
Und trotzdem: Diese wilde Zeit ist Teil meiner Geschichte. Deshalb gehört sie hierher – als Erinnerung an eine Ära voller Improvisation, Nerd-Magie und
grenzenloser Abenteuerlust. Aber ich distanziere mich ganz klar von dem, was damals vielleicht cool war, heute aber einfach nicht mehr geht. Vergangenheit:
ja. Vorbild: nein.
Raubkopien? Schulhof-Tausch? Na klar – genau so fing’s an. Mein Kumpel und ich kamen über ein paar wenige, mühsam ertauschte Disketten in der großen Pause
erstmals an die begehrten Spieleperlen. Doch der eigentliche Jackpot kam, als wir im Kaufhaus Horten auf die sogenannte ‚Nerdfraktion‘ stießen. Jeden
Samstag um 10 Uhr war dort Showtime: 20 bis 30 Gleichgesinnte mit Diskettenstapeln unterm Arm, die sich trafen, um zu kopieren, zu fachsimpeln und die
neuesten Spiele zu testen. Für uns war das wie die Gamescom in Turnschuhen – nur ohne Eintritt, aber mit echten Helden der Szene.
Und genau dort – im Untergeschoss des Kaufhauses Horten zwischen Joysticks, Monitorflimmern und dem dezenten Duft von Elektrosmog – lernten wir Thomas
kennen. Alias: ‚der Dicke‘. Für uns war er nicht weniger als der Gott der Diskette. Er hatte alles oder wusste, wo man es herbekam. Wie? Keine Ahnung.
Internet? Fehlanzeige! Der Mann war ein wandelndes Software-Orakel – mit brauner Sporttasche statt Cloudspeicher.
Jeden Samstag gegen 10:30 Uhr erschien er wie ein Ritual in der Computerabteilung. Seine Tasche? Prall gefüllt mit 10er-Päckchen frisch kopierter Disketten
– handverlesen, beschriftet, einsortiert. Wenn Thomas eintraf, leuchteten Nerd-Augen im ganzen Untergeschoss. Wenn er wieder ging, wurde hinter seinem
Rücken getuschelt. So war das nun mal – Helden werden verehrt… und bequatscht.
Er war älter als wir, rundlich, mit riesiger Brille und eher Typ Dauer-Sweatshirt als Modeikone. Gepflegt? Eher nicht. Aber er war gut. Ein stiller Star der
Szene, der nie im Rampenlicht stehen wollte, aber ohne den der Nerd-Samstag nicht funktioniert hätte. Manche munkelten, er erkaufe sich seine Freunde mit
Raubkopien. Aber wenn man ehrlich ist: Er hatte, was alle wollten – und das reichte völlig aus.
Als die Nerdtreffen Ende 1985 so richtig Fahrt aufnahmen, war ich technisch gesehen noch auf dem Rücksitz unterwegs – mit meiner treuen, aber langsamen
Datasette. Während um mich herum bereits fröhlich Disketten getauscht wurden und man mit doppelt so vielen Spielen in der halben Zeit nach Hause ging, hörte
ich weiterhin das leise Pfeifen und Schnurren meines Bandlaufwerks. Doch ich hatte einen Plan: Ein ganzes Jahr lang trug ich Zeitungen aus, Woche für Woche,
Wind und Wetter zum Trotz – nur für diesen einen Traum aus beige-braunem Plastik: die Floppy Disc 1541.